Sonntag, 13. Juli 2008

Moderne Piraten

Die Online-Ausgabe der Zeitung Die Zeit hat einen netten Bericht über moderne Piraterie geschrieben. Hier ist er zum Nachlesen "raubkopiert":

Manche sind nur mit Messern bewaffnet, andere greifen mit Schnellbooten an – die Seeräuberei boomt

Achtung! Erhöhte Alarmbereitschaft für alle Seefahrer in folgenden Häfen und Gewässern: Chittagong, Manila, Lagos, Mombasa, Straße von Malakka, somalische Küste, Golf von Aden, nigerianische Küste… Anti-Piraten-Wache für alle Schiffe dringend empfohlen!
Soweit die Piraten-Warnung für Ende Juni, abzurufen auf der Website des International Maritime Bureau (IMB). Dessen elektronische »Piraten-Weltkarte« markiert Woche für Woche neue Tatorte: Raubüberfall auf einen Frachter im Hafen von Port-au-Prince, Haiti; Entführung eines Massengutfrachters nahe Surabaya, Indonesien; oder jüngst der Angriff auf eine Jacht vor der Küste Somalias, bei dem die Passagiere an Land verschleppt wurden, darunter auch zwei Deutsche.

Piraterie – das hört sich im Zeitalter von Satelliten-Überwachung und schnellen Eingreiftruppen ziemlich rückständig an. Ist es aber nicht. Die Seeräuberei boomt. 263 Überfälle verzeichnet das IMB, ein Zusammenschluss von Reedereien und Versicherungen, für 2007, zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Viele Schiffseigentümer haken den erlittenen Schaden lieber still und leise ab, denn wer Anzeige erstattet, muss länger im Hafen bleiben und teure Liegegebühren zahlen.

Segeljachten sind leichte Beute der Piraten, mehr Profit aber bringen Überfälle auf Tanker, Container-und Massengutfrachter. Die Methoden des Angriffs variieren je nach Region. Piraten in Bangladesch klettern oft nur mit Messern bewaffnet an Deck, verschwinden mit der Bordkasse, den Rettungsringen, dem Schiffsproviant, oder was immer sie sonst greifen können. Professionellere Gangs in der Straße von Malakka benutzen Schnellboote, entern mit Maschinengewehren, und betreiben – oft im Auftrag chinesischer Syndikate – shipjacking. Das Schiff wird entführt, die Ladung in irgendeinem Hafen verhökert. Somalische Piraten, waffentechnisch mit fast allem ausgestattet, was der Mensch aus eigener Kraft tragen kann, setzen inzwischen Mutterschiffe ein, von denen sie ihre Schnellboote ins Wasser lassen.

Widerstand zu leisten ist in der Regel zwecklos und gefährlich, wenn die Täter erst einmal an Bord sind. Die Reederei sieht ihre Besatzung und ihre Fracht meist nach Zahlung eines Lösegeldes wieder. So geschehen im Fall der neun Seeleute eines niederländischen Frachters, die vergangene Woche samt Schiff und Ladung nach 31 Tagen von somalischen Piraten freigelassen wurden – gegen Zahlung von vermutlich einer Million Dollar. Auf ein ähnlich glimpfliches Ende hoffen 15 Mann an Bord der MV Lehmann Timber, dem Massengutfrachter einer Lübecker Reederei, der Ende Mai vor der Küste Somalias gekapert worden ist.

Rechnet man die Attacken auf den gesamten Schiffsverkehr hoch, ist die Wahrscheinlichkeit gering, Opfer von Piraten zu werden. Doch angesichts der zunehmenden Gewaltbereitschaft können die Folgen eines einzelnen Überfalls verheerend sein. Eine Panzerfaust, abgefeuert auf einen Öltanker, könnte eine Katastrophe auslösen. Überhaupt: Erdöl. Sechzig Prozent der weltweiten Ölversorgung erfolgt durch Tankschiffe. Was, wenn Piraten die Seerouten so unsicher machten, dass der Transport von Rohöl gefährdet wäre? Und was, wenn Terroristen auf die Idee kämen, Schiffe zu kapern? Solche Szenarien beschäftigen Sicherheitsfirmen, Militärs und inzwischen auch den UN-Sicherheitsrat.

Der hat Anfang Juni Kriegsschiffe rund um das Horn von Afrika ermächtigt, auf Piraten-Jagd zu gehen. Eigentlich sollen die Marineverbände, darunter auch Bundeswehr-Schiffe, dort im Rahmen der Operation Enduring Freedom Terroristen bekämpfen, sind aber vor allem damit beschäftigt, von Seeräubern bedrängten Handelsschiffen zu Hilfe zu kommen. Nach geltendem internationalen Recht dürfen sie auf hoher See Piraten verfolgen und festnehmen. Auf Grundlage von UN-Resolution 1816 können sie die Seeräuber jetzt auch in die Hoheitsgewässer Somalias verfolgen. Die somalische Übergangsregierung, die in dem völlig zerstörten Staat weder Land noch Küste kontrolliert, hat dieser Einschränkung ihrer territorialen Souveränität zugestimmt. Die westlichen Sicherheitsratsmitglieder applaudieren, China und andere Nationen beobachten den Präzedenzfall mit Argwohn.

Vielleicht auch deswegen, weil bei der Jagd auf Piraten wie schon bei der Jagd auf Terroristen einige Länder ihre Regeln selbst schreiben. Wenige Wochen vor Verabschiedung der Resolution hatten französische Soldaten per Hubschrauber sechs Männer im somalischen Hinterland gefangen genommen, die ein paar Tage zuvor das Lösegeld für die Crew einer Luxusjacht kassiert und diese freigelassen hatten. Die sechs warten jetzt auf ihren Prozess in Frankreich. Präsident Sarkozy war voll des Lobes – wohl wissend, dass solche Hurra-Aktionen am Problem der Piraterie nichts ändern und gegen das Völkerrecht verstoßen.

Die deutsche Marine beschränkt sich am Horn von Afrika bislang darauf, Piraten in die Flucht zu schlagen und freigelassene Geiseln zu versorgen. In der Großen Koalition streitet man sich derzeit darum, ob deutsche Marineschiffe überhaupt auf Verfolgungsjagd gehen dürfen. Die falle in die Zuständigkeit von Bundespolizei und Küstenwache, sagt die CDU/CSU. Die Union fordert eine Änderung des Grundgesetzes, was auch ihren lang gehegten Wunsch nach einem Einsatz der Bundeswehr im Inneren entgegenkäme. Genau aus diesem Grund sperrt sich die SPD gegen das Anliegen und verweist darauf, dass nach geltendem Recht auch die deutsche Marine Piraten verfolgen und festnehmen darf – wohlgemerkt auf See, nicht in fremden Ländern.

Am Problem der Piraterie ändert diese Debatte der Großen Koalition natürlich nichts. Ohnehin warnen Sicherheitsexperten davor, sich beim Kampf gegen die Piraterie auf die Jagd nach den Tätern oder die Aufrüstung der Schiffsbesatzungen zu konzentrieren. Moderne Seeräuberei, so ihre Erkenntnis, gibt es dort, wo Staaten oder Arbeitsmärkte zusammengebrochen sind. In Indonesien haben ganze Dörfer nach dem Kollaps der Fischerei auf Piraterie »umgeschult«. Am Horn von Afrika können Piraten deshalb so erfolgreich vorgehen, weil es in Somalia keine Staatsgewalt gibt, die ihnen Einhalt gebieten würde.

Dabei schrecken sie auch vor Überfällen auf Hilfsorganisationen nicht zurück. Das UN-Welternährungsprogramms (WFP), das derzeit mehrere Millionen Hungernde in Somalia versorgt, hat immer wieder Schiffsladungen mit Notrationen an Piraten verloren und bittet dringend um militärisches Geleit. Die niederländische Marine, die die Schiffe des WFP in den vergangenen Monaten eskortierte, hat ihren Begleitschutz jetzt eingestellt. Bislang hat sich kein anderer Staat bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen. (Die Zeit)

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