Montag, 18. August 2008

Piraterie im Brandenburgischen Kunstverein

„Neu“ betitelt der Brandenburgische Kunstverein in seiner Homepage ein Projekt von 2007. Da kam nichts weiter hinzu. Verlangt man aktuelle Information, muss man schon persönlich zum Verein kommen. Aber halt, in der Kunst kann das Alte ungeahnt jung sein. Und es ist irgendwie schon schön, wenn ein Verein, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, avantgardistische Kunst zu zeigen, etwas ältlich daherkommt. Sind wir doch alle nur Menschen!

Dennoch ist der Verein aktiv und hat zu einer „Gruppenausstellung von besonderer Aktualität“ eingeladen, die sich, wie der Vorsitzende Gerrit Gohlke bei der Vernissage in seinen einleitenden Worten ausführte, einem Problem, dem die Kunst besonders ausgesetzt sei, widmet: dem „Piraterie-Problem“. Super, werden da manche Kinder wohl laut ausrufen, endlich mal was Handfestes in der Kunst: Augenblenden, Totenkopf und klappernde Knochen. Aber, sollten sie sich in die Ausstellung verirren, werden sie sicher gleich enttäuscht umkehren und wahrscheinlich lieber dem Faktotum im Eingang des Luisenforums zuwenden. Da gibt es nämlich jemanden, der piratengleich all jene, die den Hof durch die Brandenburger Straße betreten, in seinen Kellerladen zieht, wo sie, wenn sie sich nicht rechtzeitig retten können, sogleich zu den alten Büchern geworfen werden und, wenn sie Pech haben, nimmermehr auftauchen. Jener Herr trägt schon seit Jahren zur verzweifelten Erheiterung der Gemüter bei, weil er sich selbst mit Aristide Bruant verwechselt und immer, auch bei schwülstem Wetter, dessen roten Schal trägt. Dieser Mann aber versteht wenigstens sein Piraterie-Handwerk: Lebt er doch von der Identität, die er wie ein Pirat auf seinen Leib zugeschnitten hat, und das Original stammt von einem gewissen Toulouse-Lautrec, der auch mal avantgardistisch war.

Die Ausstellung im Kunstverein aber, soviel soll hier verraten sein, meutert nicht, sie schießt nicht, sie übernimmt auch kein Steuer, sie ist einfach nur lahm und bietet: Nichts. Das ist sicher auch eine Art der Meuterei, aber sehr post-post-post-modernistisch und so verkopft, dass keiner das Problem, geschweige denn seine Lösung sieht. Die Schau enthüllt nichts, sie verweigert lediglich. Da trifft sie sich noch nicht einmal mit jugendlichen Meuterern, die wenigstens in ihrer Meuterei Protest zeigen und somit Flagge. Sie zeigt nur: papierne Kopien, an die Wand geheftet, von irgendwas, das man nicht versteht (Christine Würmell), Fotos von etwas, das einmal eine Performance war und den beziehungsreichen Titel „Die Ausreichung der Würmer“ trägt (Carsten Hensel), Videos, die von niemandem angesehen werden (Ming Wong), Kataloge, die aufgeschlagen in einer Vitrine liegen (Michael S. Riedel), Namen, eingerahmt und als Bild gehängt (Patrick Fabian Panetta), und, doch etwas Piraterie: das extrem kurze Video (1 Minute 37 Sekunden) eines tatsächlichen Piraterie-Vorgangs der jüngsten Zeit (Attaque du port de guerre de Toulon, Philipp Meste) mit einem doppelt so langen Abspann und im Dark room, warum auch immer, ein abgefilmtes Interview mit einer Taxifahrerin. Sie hatte mal, wie sie erzählt, eine gute Zeit, aber jetzt muss sie mit ihrem Kind bei ihrem Vater leben, und der Vater akzeptiert sie nicht als allein erziehende Frau (Heddy Honigmann). Tränen kullern über ihre Wangen. Welche Piraterie – vielleicht die des Vaters? – die Geschichte dieser sicher bemitleidenswerten Dame thematisiert, bleibt auf jeden Fall ebenso schleierhaft wie die Worte, die der Kurator sprach.

Nehmen wir aber mal das Anliegen der Kuratoren ernst: Sie meinen, die Kunst, die frei sein und bleiben sollte, ist es nicht. Alle Instanzen, die öffentlich Kunst fördern, wollen etwas von ihr, piratisieren sie gleichsam: Sie soll ein soziales Anliegen befördern, sie soll ästhetisch sein, sie soll die Menschen unterhalten, sie soll Sinn stiften, wenn sie denn öffentliche Gelder beansprucht. Und sicher, in dem Punkt ist die Ausstellung gelungen: Sie widersetzt sich all diesen Anforderungen aufs Vortrefflichste, weshalb man sie als extrem gelungen bezeichnen müsste. Sie unterhält nicht, sie regt nicht an, sie stiftet null Sinn, sie fördert kein soziales Anliegen, sie macht keine Werbung. Noch nicht einmal für den ausstellenden Verein. Aber das zumindest sollte diesem zu denken geben. Und hoppla, welch ein Mut: Wird er nicht etwa auch durch öffentliche Gelder gefördert?

Zu sehen bis 24. August im Brandenburgischen Kunstverein, Luisenforum, BrandenburgerStr. 5, Di bis So 12 bis 18 Uhr.

Lore Bardens (prn)

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